Die Darm-Hirn-Achse: Die unterschätzte Verbindung bei chronischen Beschwerden
- Benjamin Karrer
- 21. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Aug.
Wenn die Diagnose nicht alles erklärt
Wenn Sie mit chronischen Beschwerden leben, kennen Sie das Ringen um Antworten vielleicht nur zu gut. Möglicherweise haben Sie eine klare Diagnose – und spüren dennoch, dass dieses Etikett nicht das ganze Bild erfasst. Dass es da noch mehr gibt: eine Schwere, Stimmungsschwankungen oder Verdauungsprobleme, die sich nicht allein durch die Grunderkrankung erklären lassen. Oder vielleicht suchen Sie trotz vieler Untersuchungen noch immer nach einer greifbaren Ursache für Ihr Leiden. In beiden Fällen meldet sich Ihr Bauchgefühl: Da gibt es eine tiefere Verbindung, die oft übersehen wird.
Dieser Beitrag zeigt Ihnen, wie die faszinierende Verbindung von Darm und Hirn funktioniert, wie Sie deren Signale im Alltag besser deuten können und welche Ansätze es gibt, um das Gleichgewicht positiv zu beeinflussen.

Dieses «Bauchgefühl» ist dabei weit mehr als nur eine Redewendung. Es ist die spürbare Realität einer der zentralen Verbindungen in unserem Körper: der Darm-Hirn-Achse. In meiner kinesiologischen Arbeit in Urdorf zeigt sich immer wieder, wie eng körperliche Stresssymptome mit der Verdauung und der emotionalen Verfassung verknüpft sind – ein Muster, das perfekt durch das Modell der Darm-Hirn-Achse erklärt wird. Dabei können Sie sicher sein: Ihre Empfindungen sind real, und Sie haben die Möglichkeit, die Kommunikation zwischen Kopf und Bauch aktiv zu beeinflussen.
Woran erkenne ich ein Ungleichgewicht meiner Darm-Hirn-Achse?
Eine gestörte Darm-Hirn-Achse sendet oft eine Vielzahl von Signalen aus, die auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen scheinen. Wenn Sie sich in mehreren der folgenden Punkte wiedererkennen, könnte dies ein Hinweis auf ein Ungleichgewicht sein:
Anhaltende Verdauungsprobleme: Chronische Blähungen, Bauchschmerzen, Krämpfe, Durchfall, Verstopfung oder ein ständiger Wechsel zwischen beidem sind klassische Anzeichen.
Unerklärliche Erschöpfung: Eine chronische Müdigkeit, die auch nach ausreichend Schlaf nicht verschwindet, kann ein Zeichen für eine systemische Belastung sein, die im Darm ihren Ursprung hat.
Psychische und emotionale Belastungen: Fühlen Sie sich immer wieder niedergeschlagen, ängstlich oder reizbar? Stimmungsschwankungen, Konzentrationsprobleme und Brain Fog («Nebel im Kopf») können direkt mit dem Darm zusammenhängen.
Überempfindlichkeit gegenüber Stress: Wenn schon kleine Stressoren starke körperliche Reaktionen im Bauch auslösen, ist das ein Signal für eine überreaktive Achse.
Hautprobleme oder geschwächtes Immunsystem: Auch wiederkehrende Infekte oder Hauterkrankungen wie Akne oder Neurodermitis können auf ein Ungleichgewicht im Darm hindeuten.
Wenn diese Symptome Ihren Alltag bestimmen, ist es an der Zeit, die Kommunikation der Darm-Hirn-Achse genauer zu betrachten.

Die Datenautobahn zwischen Kopf und Bauch
Stellen Sie sich eine direkte Datenautobahn zwischen Ihrer Schaltzentrale (Gehirn) und Ihrem Energie- und Emotionszentrum (Darm) vor. Auf dieser Autobahn werden ununterbrochen Informationen in beide Richtungen gesendet. Die Hauptakteure sind:
Das Gehirn: Unsere Zentrale für Gedanken, Körpersteuerung und Stressverarbeitung.
Das «Bauchhirn»: Ein riesiges Netzwerk von Nervenzellen, welches den gesamten Verdauungstrakt durchzieht. Medizinisch wird es das «enterisches Nervensystem» genannt.
Die Darmflora (Mikrobiom): Billionen von nützlichen Bakterien, die für uns lebenswichtige Stoffe verarbeiten und produzieren.
Der Vagusnerv: Das Hauptkabel dieser Verbindung. Das Erstaunliche: Etwa 80 % der Informationen fliessen vom Darm zum Gehirn. Ihr Gehirn ist also vor allem ein aufmerksamer Zuhörer dessen, was Ihr Bauch ihm meldet.
Top-Down: Wenn der Kopf den Bauch stresst
Dieser Weg ist den meisten von uns vertraut. Chronischer Stress, Sorgen und negative Gedankenmuster senden über Stresshormone wie Cortisol eine «Alarmmeldung» an den Darm. Die Folge: Die Darmbewegung gerät aus dem Takt, die Verdauung wird gehemmt und die schützende Darmbarriere kann durchlässig werden. Hier spricht man u.a. vom «Leaky Gut-Syndrom». Ein gestresster Geist führt direkt zu einem gestressten Darm.
Bottom-Up: Wenn der Bauch die Stimmung macht
Dieser Weg ist oft der entscheidendere bei chronischen Leiden. Der Zustand Ihres Darms sendet ununterbrochen Signale, die Ihre Gehirnchemie, Ihre Schmerzwahrnehmung und Ihre Stimmung stark beeinflussen. Über 90% des «Glückshormons» Serotonin werden im Darm produziert – massgeblich beeinflusst durch Ihre Darmbakterien. Gleichzeitig können unterschwellige, aber dauerhafte (stille) Entzündungen im Darm das Gehirn erreichen und dort für Erschöpfung oder eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit sorgen.

Wie Sie Ihre Darm-Hirn-Achse ins Gleichgewicht bringen
Die wunderbare Nachricht ist: Sie können diese Kommunikation aktiv beeinflussen. Es geht darum, sowohl den Darm zu stärken als auch den Geist zu beruhigen.
Ansätze von unten nach oben: Den Darm stärken
Diese Strategien setzen direkt am Fundament an und senden positive Signale an das Gehirn:
Ernährung: Eine vielfältige, ballaststoffreiche Ernährung ist der grundlegendste Hebel. Sie füttert nützliche Darmbakterien, stärkt die Darmbarriere und reduziert Entzündungen.
Probiotika & Präbiotika: Die gezielte Zufuhr von nützlichen Bakterienstämmen und deren «Futter» kann das Gleichgewicht der Darmflora direkt unterstützen.
Probiotika & Präbiotika: Das Dream-Team für Ihren Darm
Probiotika: Die freundlichen Helfer
Probiotika sind lebende, nützliche Bakterien, die als Verstärkung für Ihre Darmflora dienen. Sie helfen, das Gleichgewicht im Darm zu unterstützen, schädliche Keime in Schach zu halten und die Darmbarriere zu stärken.
Was Sie konkret essen können: Greifen Sie zu fermentierten Lebensmitteln, die lebende Kulturen enthalten (nicht pasteurisiert):
Naturjoghurt & Kefir (aus Sauermilch)
Frisches Sauerkraut
Kimchi (fermentierter Kohl aus der koreanischen Küche)
Kombucha (fermentiertes Teegetränk)
Naturtrüber Apfelessig
Präbiotika: Das Lieblingsfutter der guten Bakterien
Präbiotika sind keine Bakterien, sondern unverdauliche Ballaststoffe. Sie dienen den guten Bakterien in Ihrem Darm als Nahrung und ermöglichen es ihnen, sich zu vermehren und gesundheitsfördernde Stoffe (wie entzündungshemmende kurzkettige Fettsäuren) zu produzieren.
Was Sie konkret essen können: Eine bunte Vielfalt an pflanzlichen Lebensmitteln ist hier der Schlüssel:
Zwiebelgewächse: Zwiebeln, Knoblauch, Lauch
Gemüse: Chicorée, Spargel, Artischocken
Obst: Bananen (besonders, wenn sie noch leicht grün sind), Äpfel
Hülsenfrüchte: Linsen, Bohnen, Kichererbsen
Tipp: Kalt gewordene Kartoffeln, Nudeln oder Reis. Beim Abkühlen entsteht «resistente Stärke», ein besonders wertvolles Präbiotikum.
Ansätze von oben nach unten: Den Geist beruhigen
Diese Methoden zielen darauf ab, vom Gehirn ausgehende Stresssignale zu reduzieren:
Stressmanagement: Techniken wie Meditation oder die in der Übung gezeigten, einfachen aber wirksamen Atemübungen reduzieren Stresshormone und beruhigen das überaktive «Bauchhirn».
Mentale Arbeit: Wenn der Darm sich meldet (z.B. wenn es wieder rumort), kann dies negative Gedanken und Stress auslösen – was wiederum die Symptome verstärkt. Mittels mentaler Arbeit kann dieser Kreislauf unterbrochen werden.
Ein Ansatz, der in beide Richtungen wirkt: Bewegung
Regelmässige, sanfte Aktivität ist einzigartig: Sie fördert die Vielfalt der Darmflora und baut gleichzeitig effektiv Stresshormone ab, während stimmungsaufhellende Endorphine freigesetzt werden.
Ein praktischer Impuls: Senden Sie ein Signal der Sicherheit an Ihren Bauch
Stress und Sorgen versetzen Ihr Nervensystem in einen «Kampf-oder-Flucht»-Modus, was sich direkt auf Ihre Verdauung auswirkt. Mit einer einfachen Atemtechnik können Sie bewusst den "Ruhe-und-Verdauen"-Modus anstossen. Dieser sanfte Impuls dauert nur eine Minute.
Der 4-zu-6-Atem:
Finden Sie eine bequeme Position: Setzen Sie sich aufrecht, aber entspannt hin. Legen Sie eine Hand auf Ihren Bauch, um die Bewegung zu spüren.
Sagen Sie für sich: Ich atme, weil ich mich um mich kümmere.
Atmen Sie sanft ein: Atmen Sie ruhig durch die Nase ein und zählen Sie dabei innerlich bis vier. Spüren Sie, wie sich Ihr Bauch leicht hebt.
Verlängern Sie die Ausatmung: Atmen Sie langsam und sanft durch den Mund oder die Nase wieder aus und zählen Sie dabei innerlich bis sechs (oder sieben oder acht, was auch immer sich für Sie entspannt anfühlt).
Wiederholen Sie: Führen Sie diesen Atemrhythmus für sechs Zyklen durch. Konzentrieren Sie sich ganz auf das Gefühl der verlängerten, beruhigenden Ausatmung. Erinnern Sie sich: Ich atme, weil ich mich um mich kümmere.
Spüren Sie nach: Nehmen Sie am Ende wahr, ob sich etwas in Ihrem Bauchbereich oder Ihrem gesamten Körpergefühl verändert hat. Es gibt kein Richtig oder Falsch.
Diese kleine Übung ist ein wirksames Werkzeug, um Ihrem Nervensystem und damit Ihrem Bauch zu signalisieren, dass alles in Ordnung ist und er sich entspannen darf.

Ihr Weg zu einem besseren Körpergefühl mit Kinesiologie
Die Verbindung zwischen Darm und Gehirn kann chronische Beschwerden massgeblich beeinflussen. Körperliche Symptome und das mentale Befinden haben eine Wechselwirkung. In der Kinesiologie nutzen wir den Körper als präzises Rückmeldesystem. Dies dient als Werkzeug, um die individuellen Stressfaktoren aufzuspüren, die Ihre Darm-Hirn-Achse aus dem Gleichgewicht bringen. So geben wir dem System eine Chance, seine Selbstheilungskräfte zu aktivieren und ein inneres Umfeld für Genesung und Wohlbefinden zu schaffen.
Wenn Sie lernen möchten, die Signale Ihres Körpers besser zu verstehen und die Kommunikation auf Ihrer Darm-Hirn-Achse aktiv zu verbessern, lade ich Sie ein, einen Ersttermin zu vereinbaren.
Zwei Fragen für Sie zum Nachdenken
Gibt es aktuell eine Situation oder ein Gefühl in Ihrem Leben, das Ihnen sprichwörtlich «schwer auf dem Magen liegt» oder das Sie nur «schwer verdauen» können?
Was wäre, wenn ein Symptom (wie z.B. ein flaues Gefühl im Magen) nicht nur ein «Problem» ist, sondern eine Botschaft für Sie hätte? Welche Botschaft oder welcher Hinweis könnte das sein?
Buchen Sie einfach online Ihren Ersttermin
Erhalten Sie die besten Gesundheits-Tipps - im Newsletter:
Quellen und weiterführende Literatur
The gut-brain axis: interactions between enteric microbiota, central and enteric nervous systems Ein grundlegender wissenschaftlicher Übersichtsartikel, der die komplexen Kommunikationswege zwischen Darm, dem Mikrobiom und dem Gehirn detailliert erklärt. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4367209/
The Role of Gut Microbiota in Anxiety, Depression, and Other Mental Disorders Eine aktuelle Forschungsarbeit, die den direkten Zusammenhang zwischen der Zusammensetzung der Darmflora und psychischen Erkrankungen wie Angst und Depression beleuchtet. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37513676/
Cognitive-behavioral therapy for patients with irritable bowel syndrome: current insights Dieser Übersichtsartikel zeigt die hohe Wirksamkeit von psychologischen Ansätzen wie der kognitiven Verhaltenstherapie bei der Behandlung von Störungen der Darm-Hirn-Achse auf. https://www.dovepress.com/cognitive-behavioral-therapy-for-patients-with-irritable-bowel-syndrom-peer-reviewed-fulltext-article-PRBM
Psychobiotics and the Manipulation of Bacteria for Treating Mental Illness Ein wegweisender Artikel, der den Begriff «Psychobiotika» prägt und das Potenzial von spezifischen Probiotika für die Verbesserung der psychischen Gesundheit beschreibt. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5102282/